Verlust. Die andere Seite des Fortschritts in der westlichen Moderne
Andreas Reckwitz (geb.1970). 1989-1995 Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie an den Universitäten Bonn, Hamburg und Cambridge. 1994 Abschluss als Master of Philosophy (M.Phil.) in Sozialtheorie an der Universität Cambridge (GB). 1995 Diplom-Abschluss in Politikwissenschaft/Soziologie an der Universität Hamburg. Danach von 1996-99 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie, Universität Hamburg. Promotion zum Doktor der Philosophie. Nach verschiedenen Stationen in Berkeley und London 2005 Habilitation am Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg mit einer venia legendi in Soziologie. 2006 Principle Investigator (maßgeblich beteiligter Wissenschaftler) am Exzellenzcluster 16 „Kulturelle Grundlagen von Integration“ an der Universität Konstanz. Seit 2020 Professor für Allgemeine Soziologie und Kultursoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2022 Aufenthalt als Thomas-Mann-Fellow im Thomas-Mann-House, Los Angeles.
Klimawandel, Modernisierungsverlierer, Artikulation historischer Traumata, neue globale Konfrontationen – die Erfahrung von Verlusten erlangt in der spätmodernen Gegenwart eine Sichtbarkeit wie zuvor lange nicht. Es stellt sich die grundsätzliche Frage, in welchem Verhältnis der Modernisierungsprozess zu solchen Verlusterfahrungen steht. Es tut sich eine grundsätzliche Spannung auf: zwischen dem Fortschrittsimperativ, welcher die westliche Moderne seit ihren Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart vorantreibt und der auf der Annahme positiver Zukunftserwartungen basiert, und den Verlustwahrnehmungen verschiedenster Art, von den Status- bis zu den Ordnungsverlusten. Die westliche Moderne beruht auf einer Verlustparadoxie: Verluste werden einerseits durch den Fortschritt verringert und sie werden im Namen des Fortschritts unsichtbar gemacht, zum anderen werden die Verluste jedoch auch durch verschiedene Mechanismen systematisch angeheizt. Die Frage stellt sich, welche Praktiken der Verlustbearbeitung insbesondere die spätmoderne Gegenwart entwickelt und wie sich das Fortschrittsverständnis durch Verlusterfahrungen wandelt.
